Rezensionen und Besprechungen

Adenauers Schmutzwasser
ARD-Dokumentation über das Auswärtige Amt
Die Welt, 18.1.2006

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"Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat!" Typisch rheinisch parierte Konrad Adenauer in einem Hintergrundgespräch mit 14 deutschen Chefredakteuren am 2. April 1952 die damals laufende öffentliche Debatte um die Personalpolitik des im Aufbau befindlichen Auswärtigen Amtes (AA). Denn viele der neuen Diplomaten hatten bereits unter Hitler gedient. Adenauers Satz ist seit Anfang 2005 immer wieder (und häufig falsch) zitiert worden - seit im seinerzeit von Joschka Fischer geleiteten AA die Verstrickung in NS-Verbrechen zum Thema wurde. Selten achtete man dabei auf den vorangehenden Satz. Denn der erste Bundeskanzler hatte eben auch gesagt: "Ich bin nicht gerade glücklich über die Zusammensetzung des Auswärtigen Amtes, keineswegs."

Heute abend nimmt sich die ARD "Hitlers Diplomaten in Bonn" vor. Die von Fischer eingesetzte Untersuchungskommission aus drei renommierten deutschen einem israelischen und einem US-Historiker hat noch keine Ergebnisse vorgelegt. So ist der Zeitpunkt vom WDR gut gewählt, das Thema auf dem bisherigen Stand der Forschung einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Trotz des allzu reißerischen Titels behandelt die Dokumentation von Heinrich Billstein und Mathias Haentjes die Vergangenheit des AA im wesentlichen treffend. Die beiden Autoren mühen sich, der Realität der frühen fünfziger Jahre gerecht zu werden. Nur manchmal schimmert jene Lust zur Polemik durch, die WDR-Autoren häufig eigen ist, sich aber gerade beim seriösen Geschichtsfernsehen fast immer als kontraproduktiv erweist. Allerdings geht der Film nur wenig über das hinaus, was man zur ambivalenten Frühgeschichte des AA schon lesen konnte.

Ausgewogenheit erreichen Billstein und Haentjes durch gut gewählte Gesprächspartner. Zwei von ihnen waren in den ersten Jahren der Bundesrepublik als junge Journalisten in Bonn tätig: Inge Deutschkron, die den Holocaust versteckt in Berlin überlebt hatte, klagt die Diplomaten an, die ihre Verstrickung in den Völkermord verdrängten und ihre eigene Vergangenheit schönredeten. Egon Bahr, der spätere SPD-Außenpolitiker, gibt dagegen die Mehrheitsmeinung des Pressekorps in der jungen Bundeshauptstadt wieder: Unhaltbar sei nur, wer "Blut an den Händen" hatte. Ein anderer Interview-Partner, der spätere Botschafter Hans Arnold, berichtet vom Verdrängungsmechanismus bei vielen seiner älteren Kollegen - und vom erfolgreichen Bemühen, einem früheren Hitler-Diplomaten aus dem Weg zu gehen.

Doch es bleibt viel aufzuarbeiten an der Geschichte des bundesdeutschen AA. Die Beispiele, die der WDR-Film für in den Holocaust verstrickte Diplomaten anführt, sind bekannt: Werner von Bargen, Franz Nüsslein und Otto Bräutigam. Der wissenschaftliche Berater der beiden Dokumentarfilmer, der Osnabrücker Historiker Hans-Jürgen Döscher, hat zwar gerade erst ein neues Buch über "Seilschaften. Die verdrängte Vergangenheit des Auswärtigen Amtes" (Propyläen Verlag Berlin) vorgelegt. Doch es enthält nicht mehr als den Forschungsstand von 1995 und teilweise sogar von 1987, weil es aus zwei früheren Büchern Döschers zusammengebastelt wurde.

Es gibt in der Geschichte des AA genügend zu entdecken, viel Negatives, aber eben auch Beispiel für den Bewegungsspielraum verantwortungsbewußter Diplomaten, etwa Gerhard Feines. Der Vortragende Legationsrat half in Budapest im Sommer 1944 dabei, Tausende Juden vor dem Abtransport nach Auschwitz zu bewahren. Fairerweise zeigen Billstein und Haentjes den Fall ebenfalls. Aber man erfährt nicht, daß auch Feine später im AA Karriere machte und als Botschafter in Dänemark starb.

Eine Chance schließlich verpassen die beiden Journalisten beim Thema Instrumentalisierung der NS-Vergangenheit durch die DDR. Zwar beschreiben sie, wie der SED-Apparat um Chefagitator Albert Norden die braune Vergangenheit westdeutscher Beamter im Kalten Krieg als Waffe nutzte. Nordens Mitarbeiter Norbert Podewin darf diesen Kampf aus seiner Sicht schildern, Ex-Botschafter Karl-Günther von Hase und Egon Bahr rücken seine Darstellung ins Lot. Doch hier hätte Weiterfragen gelohnt. Gerade durch den Mißbrauch in der innerdeutschen Auseinandersetzung wurde die zeitnahe Aufarbeitung der (zahlreichen) brauen Flecken auf der Weste der Bundesrepublik erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Ins Nachtprogramm verbannt zu werden, haben Billstein und Haentjes dennoch nicht verdient.

Sven Felix Kellerhoff

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